Das Gesicht eines Mannes mit kurzen dunklen Haaren und gesenktem Blick wird auf eine Stellwand projiziert.

They're All the Same

Willie Doherty

  • Jahr 1991
  • Material/Technik 1-Kanal-Diaprojektion (35mm-Dia, Ton)
  • Maße Projektionsgröße: H 300 x B 200 cm x T 50 cm
  • Laufzeit Standbild mit ca. 3' Soundloop
  • Gattung Medienkunst
  • Sammlung Sammlung Goetz, Medienkunst, München

Seit Ende der 1980er-Jahre macht Willie Doherty (*1959) seine Heimat Nordirland mit ihrer besonderen politischen Situation zum Ausgangspunkt seiner Werke und schafft Bilder, die aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit auch außerhalb des geografischen Entstehungskontextes Bestand haben. Sein Werk umfasst Schwarz-Weiß-Fotografien, vergrößerte Cibachrome-Fotoabzüge, Videos und, wie bei They’re All the Same, Diaprojektionen mit gesprochenem Text.

Konkret handelt es sich hier um ein Farbfoto, das Doherty der Titelseite der britischen Zeitung Daily Mirror vom 8. Juli 1991 entnommen hat und das als Dia idealerweise in einem eigenen, abgedunkelten Raum auf eine einfache, ca. 3 Meter hohe Holzleinwand als statisches Bild projiziert, das von gesprochenem Text begleitet wird. Der Betrachter wird mit dem überlebensgroßen Kopf eines melancholisch, sensibel und introvertiert aus dem Bild blickenden jungen Mannes konfrontiert. Dieser subjektive Eindruck muss jedoch der Intention widersprechen, welche die Zeitung offensichtlich mit der Veröffentlichung des Fotos verfolgte: Es handelt sich um ein polizeiliches Fahndungsfoto des flüchtigen vermutlichen IRA-Terroristen Nessan Quinlivan, der laut Daily Mirror einer der gefährlichsten Männer Europas sei und am Abend zuvor mit Waffengewalt aus einem Gefängnis ausgebrochen war. Die Ambiguität des Fotos weckte Dohertys Interesse, da es völlig ungeeignet schien, die Person als kaltblütigen Terroristen darzustellen. Es verweist vielmehr auf eine andere Facette dieses Menschen und die Bruchstelle in dessen Persönlichkeit verstärkt der Künstler durch den gesprochenen Text. Doherty bearbeitet seine gefundenen Bilder nicht, er möchte ebenso wenig als Autor in Erscheinung treten, sondern als „unterstützende oder organisierende Kraft“.[2]

Diesen Anspruch verfolgt er auch für seine kompliziert konstruierten Textmontagen: Hier konterkariert er die ebenfalls gefundene poetische und klischeehafte Landschaftsbeschreibung seiner irischen Heimat aus einem Reiseführer der 1930er-Jahre mit den beiden konkurrierenden Ichs eines inneren Monologs. Diese Vorgehensweise stellt die Arbeit konkret in einen Kontext von staatlicher Machtausübung und individueller Ohnmacht: „I’m barbaric“, „I’m decent and truthful“ – „I am patient. I have a vision“ – „I’m pathetic.“[1] Doherty widerspricht den eindimensionalen und vereinfachenden Darstellungen, welche typisch sind für die Berichterstattung der Massenmedien. In seiner interpretierenden Analyse führt er vor Augen, dass es nicht nur eine Realität, eine wahre Perspektive gibt, sondern jedes Bild und jeder Kommentar bereits die Interpretation seines Autors mitliefert. Er stellt grundsätzlich die Authentizität der Bilder, die heutzutage gängig als Beleg von Fakten und zur Schaffung von Wahrheiten herangezogen werden, infrage und warnt vor der beeinflussenden Macht der Medien. In unserer Zeit, die einerseits davon lebt, dass von jedem Ereignis beinahe zeitgleich und global Bilder als Beweise verfügbar sind und andererseits aufgrund der digitalen Bildbearbeitung keinem Bild mehr vertraut werden kann, haben Dohertys Arbeiten größte Aktualität. Sie dienen nicht nur der Verunsicherung des Betrachters sowie dessen selektiv-subjektiver Wahrnehmung, sondern sind als Plädoyer für eine individuelle Hinterfragung und für die Bildung einer eigenen fundierten Meinung zu verstehen.

(Text von Stephan Urbaschek aus: Aschemünder, Ostfildern 2011)

[1] Dirk Snauwaert: Es könnten viele Orte sein: Interview mit Willie Doherty, in: Art from the UK, Ausst.-Kat. Sammlung Goetz, München, Hamburg 1997, S. 44.

[2] Ebd. S. 38.

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