Die Bilder sind ausgeblichen, unscharf, farbstichig oder zu grell. Die Körnung ist grob, so wie es altes Filmmaterial ästhetisch auszeichnet. Die Lichtintensität pulsiert, wechselt, wird radikal auf- oder überblendet. Fiorucci Made Me Hardcore wirkt wie die amateurhafte Zusammenstellung vorgefundenen Filmmaterials, das eigentlich zu schlecht ist für einen Dokumentarfilm. Doch ist die Collagetechnik, die sich dahinter verbirgt, auf einem brillanten Niveau. Sie überträgt Verfahren, die seit Beginn der 1990er-Jahre mit dem Aufkommen von preiswerter Software, Musik-Kits und Samplern in der Musik – ‚hardcore‘ – benutzt worden sind. So, wie dort vorgefundenes musikalisches Material in kleinste Bits zerlegt, zerschlagen, beschleunigt, gedehnt, verfremdet und auf Tausend Plateaus wieder neu zusammengesetzt wurde, arbeitet Mark Leckey (*1964) mit dem Film. In der Neumontage des Materials erweist sich die visuelle Intelligenz, Bewegungen der Kamera, Schwenks, Überbelichtungen, Stopps, Blenden als grammatische Mittel der filmischen Sprache präzise einzusetzen. So wird auch ein kleines Detail, ein Tattoo, wie eine kurze Basslinie digital weitertransportiert. Hinter der ästhetischen Oberfläche vermeintlicher Aufnahmefehler verbirgt der Film seine technische Brillanz. Dies wird auch in der Toncollage deutlich, die mit traumwandlerischer Sicherheit in markanten Tonfolgen, schrillen Loops, hysterischen Übersteuerungen und sich wiederholenden Satzfragmenten die Bildsequenzen begleitet.
Die filmische Collage ist eine anthropologische Studie über die Riten junger Männer. Das Anfangsmaterial stammt von den unter dem Einfluss von Amphetaminen vorangetriebenen nächtelangen ‚northern soul‘-Tänzen in den 1970er-Jahren. Zwischendurch steht ein junger Mann auf einem Dach, das eine nächtlich blaue Stadt überblickt. Rollerskater fahren durch Vorstadtstraßen. Die Collage endet mit den ‚ecstasy raves‘ der 1990er-Jahre. Dabei scheint die Zunahme der ‚beats per minute‘ und die vielschichtig verwobenen Konstruktionen der Musik den Tanzstil vor allem in Arme und Hände zu verlagern. Der Körper selbst ist zu behäbig, um den Feinstrukturen noch folgen zu können. Der Film verfolgt die Tänzer bis in die Phasen des Stillstands der Bewegungen unter Stroboskoplicht. Er dokumentiert junge Männer, wie sie als geschlossener ‚tribe‘ durch die Straßen gehen: „Everywhere we go, people wanna know who we are.“
Der Titel des Films gibt einen Hinweis auf die ‚street credibility‘ des Autors. ‚Casuals‘ nannten sich die Eliten britischer Hooligans Mitte der 1980er-Jahre. Sie definierten sich vor allem über Kleidung von Marken wie Tacchini, Lacoste, Fila, Fiorucci.
Leckey markiert eine andere, eine skeptische Ästhetik in der britischen Kunst. Nichts bleibt von den utopischen Momenten der kollektiv erlebten Höhepunkte durchtanzter Nächte. Das Gefühl von Auflösung der Individualität, die Illusion gemeinsamen Glücks, wortlosen Verstehens in einem ekstatisch, selbst vergessenen Tanzritual –dies vermittelt der Film nicht. Solche Utopien sind für viele Teil des individuellen und kollektiven Gedächtnishorizonts geworden. Die Utopie selbst ist nicht darstellbar, sie bleibt unsichtbar. Der Film ist eine Studie über den archaischen Zustand unserer Psyche. Leckey hat verstanden, dass Logos, dass Fiorucci, ihre Versprechen nicht mehr einlösen werden.
(Text von Rainald Schumacher in: fast forward. Media Art Sammlung Goetz, Hamburg 2003)